META Update: »Tröten« statt »Twittern«?

 

Noch ist die Twitter-Alternative Mastodon nicht in aller Munde. Doch Mit der Stadt Wien und dem öffentlich-rechtlichen Radiosender FM4 setzen zwei prominente österreichische Akteure erste Schritte ins sogenannte Fediverse. Weitere könnten folgen.

Laut einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov haben 80 Prozent der Befragten noch nie von dem alternativen Mikroblogging-Dienst gehört. Doch das Interesse daran schießt seit der turbulenten Twitter-Übernahme durch Elon Musk in die Höhe, wie auch eine Analyse der Erwähnungen von Mastodon auf Twitter und den Zugriffszahlen des Wikipedia-Artikels zeigt. Zahlreiche Medien berichten und veröffentlichen Anleitungen, wie man einen Account anlegt. Laut seinem Gründer Eugen Rochko hat das Netzwerk die Zahl seiner User innerhalb kürzester Zeit verdoppelt. „Mit etwa einer Million aktiver Nutzer und Nutzerinnen steht Mastodon zwar weiter tief im Schatten des Originals, doch die weitreichenden Änderungen bei Twitter führen zu einer bemerkenswerten Dynamik, die wir im Auge behalten”, erläutert META-Analyst Klemens Herzog.

Komplex, nicht kompliziert

Namensgebend für Mastodon ist ein ausgestorbenes mammutähnliches Tier, das sich in der Unternehmenskommunikation als plüschiges Maskottchen gibt. Veröffentlichte Nachrichten heißen nicht Tweets, sondern Toots beziehungsweise Tröts. Diese können im Regelfall bis zu 500 Zeichen lang sein und lassen sich mit Bildern, Videos und Umfragen kombinieren. Hashtags und Mentions sorgen für ein weitgehend vertrautes Handling bei Twitter-Umsteigern. Größter Unterschied, und das merkt man auch als neuer Nutzer schnell, ist die dezentrale Organisation der Plattform. Dezentral bedeutet: Jede und jeder kann einen eigenen Mastodon-Server und damit eine eigene Mastodon-Community betreiben. Sozusagen ein eigenes kleines Twitter. Die Betreiber dieser sogenannten „Instanzen“ legen dabei auch die „Hausregeln“ fest, zum Beispiel, welche Inhalte wie moderiert werden oder welche Nutzer beitreten können, haben also in ihrem abgegrenztem Bereich viel Einflussmöglichkeiten.

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Derzeit gibt es etwa 3.300 solcher Serverinstanzen. Diese können inhaltliche Schwerpunkte wiedergeben – es gibt etwa Server für Bierliebhaber, Personal aus dem Gesundheitsbereich oder Fans von Metal-Musik – oder regionale Communities versammeln – wie die Server wien.rocks tyrol.social oder graz.social. Als neuer Nutzer muss man sich für eine Instanz entscheiden. Ein späterer Wechsel ist jedoch möglich.

Ob eine Community eher unter sich bleibt oder sich mit (vielen) anderen Servern verbindet, obliegt wiederum den Betreibern der jeweiligen Server. Prinzipiell ist Mastodon so konzipiert, dass Nachrichten Community-übergreifend gelesen werden können, die Server also konföderiert sein können. Mastodon selbst zieht dabei oft den Vergleich mit dem E-Mail-System: Es gibt viele verschiedene Provider (z.B. Gmail, Outlook, GMX), die durch einen gemeinsamen technischen Standard aber miteinander kompatibel sind. Ausschlüsse, etwa von Servern die pornografische oder nationalsozialistische Inhalte verbreiten, oder aber eine unerwünschte politische Richtung haben, können bei Mastodon wiederum nicht zentral, sondern nur von den einzelnen Instanzen umgesetzt werden. Dezentral erfolgen auch die Bereitstellung der Server-Kapazitäten und die Finanzierung dieser Infrastruktur.  

Das Ergebnis ist ein durchwegs komplexes und dynamisches Geflecht, das nicht immer störungsfrei läuft, aber als User im Grunde genommen unkompliziert zu handhaben ist.

Motschgern über den Christbaum am Wiener Rathausplatz, #tatort in den Trends: Mastodon bietet auch Vertrautes

Umsteiger von Twitter stoßen, wie bereits beschreiben, auf gewohnte Funktionen und Elemente. Dennoch fühlt sich Mastodon bei einem Umstieg zunächst fremd an. Dies liegt zum einen an der wesentlich geringeren Anzahl an Nutzern. Zum anderen daran, welche Inhalte, wie angezeigt werden. Im Gegensatz zu Twitter, das dem User, EINE von Sortieralgorithmen zusammengestellte Timeline ausgibt, kann der Mastodon-User auf drei unterschiedliche Timelines zugreifen: eine mit Inhalten von Usern, denen man serverübergreifend folgt; eine mit Inhalten von Usern, die sich auf demselben Heimserver befinden; und eine sogenannte föderierte Zeitleiste, die Inhalte von Servern ausgibt, mit denen der Heimserver verbunden ist.

Die Anzahl der Likes und Shares, die ein Beitrag hat, beeinflusst nicht wesentlich seine Prominenz in der Darstellung. Das Potential für Shit- und auch Flowerstorms bzw. für viral gehende Inhalte aller Art scheint deshalb wesentlich geringer zu sein. Darüber hinaus gibt es auf Mastodon keine Werbung und bezahlte Anzeigen. Im Vergleich zu Twitter lässt Mastodon den Nutzern also mehr aktive Kontrolle darüber zu, welche Inhalte gesehen werden. Dies führt jedoch auch dazu, dass man bei einer Neuanmeldung vor einem ziemlich leeren Blatt steht. Wie einige User anmerken, kann dies durchaus abschrecken.

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Offizielles Österreich trötet (noch) nicht

Bereits vor der Twitter-Übernahme durch Elon Musk tummelten sich einige große Player auf Mastodon. So betreibt der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) Wojciech Wiewiórowski seit April in einer Pilotphase den Dienst EU Voice (eine Mastodon-Instanz), der u.a. die Accounts der EU-Kommission oder dem EU-Weltraumprogramm hosted. In Deutschland setzten immer mehr Behörden auf eine Präsenz auf Mastodon. Etwa das Auswärtige Amt, der deutsche Zoll oder das Bundesamt für Strahlenschutz. Österreichische Behörden sind bisher (noch) nicht vertreten. Ausnahme bildet die Stadt Wien, die seit 01. November einen Account bespielt. Von den heimischen Medienhäusern wagt FM4 als erstes den Schritt ins Fediverse (federated universe). Das gewerkschaftsnahe Moment Magazin ist schon seit Mai mit von der Partie. Auch Interessensvertretungen wie der Verkehrsclub Österreich wagen mit November erste Gehversuche auf dem noch ungewohnten Gelände. Unternehmenspräsenzen bleiben unter schwierigen Rahmenbedingungen (vgl. wenige Nutzer, keine bezahlten Inhalte, keine Möglichkeit zur Verifizierung) bislang eine Ausnahme.

Fazit

Die Relevanz von Mastodon für das Monitoring sozialer Medien ist noch überschaubar; die zukünftige Bedeutung aber noch nicht zur Gänze abzuschätzen. Akteure aus der Zivilgesellschaft, dem Journalismus und der politischen Kommunikation beurteilen Mastodon (auf Twitter) durchaus unterschiedlich. Während manche Kommentatoren gar von einem Twitter-Exodus sprechen, geben andere Mastodon keine große Zukunft.

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Festzustellen ist jedenfalls eine abwartende Position bezüglich der Änderungen bei Twitter und deren Auswirkungen. Eine drastische Absatzbewegung sowie exklusiv über Mastodon geführte Debatten, sind nicht zu vernehmen. Die teils über Jahre aufgebauten, Followerzahlen und Reichweiten auf Twitter, gibt niemand leichtfertig auf. Auch bei Akteuren, die Mastodon aktiv als Alternative bewerben, scheint vorerst der Aufbau eines publizistischen Sicherungsnetzes im Vordergrund zu stehen. Dieses könnte sich angesichts der chaotisch kommunizierten Pläne zur Zukunft Twitters, wie etwa einer weitreichenden Paywall, bald als hilfreich erweisen.

Das durch Twitter mitgeprägte Bedürfnis nach niederschwelligem (trans)nationalen Informationsaustausch bleibt bestehen. Ob die Weichenstellungen unter Elon Musk Potentiale für Alternativen abseits von Twitter öffnen, ist bei der gegenwärtigen Dynamik anzunehmen. Ob Mastodon entstehende Lücken füllen kann und die einsetzende Fear of missing out in ein nachhaltiges Wachstum seiner Nutzerzahlen ummünzen kann, bleibt abzuwarten.  

META hat ein Auge darauf und stellt auch in Zukunft sicher, dass unsere Kunden keine relevanten Diskussionen und Inhalte verpassen.

 

 

Zum Autor: Klemens Herzog ist Projektmanager Medienanalysen bei META.

Bildcredits: Eugen Rotchko, AGPL <http://www.gnu.org/licenses/agpl.html>, via Wikimedia Commons

Rückfragen & Kontakt

Mirela Dayarova
Head of New Business
mirela.dayarova@metacommunication.com
+43 664 8553038