Social-Media-Analyse zum IPPC-Bericht

 

Lautes Zwitschern, leise Politik

Der Anfang April veröffentlichte Bericht des Weltklimarates äußert dringenden Handlungsbedarf. In den sozialen Medien kursierten angesichts der geringen Resonanz einige Vergleiche mit dem Netflix-Hit „Don´t Look Up“, in dem Wissenschaftler vergeblich vor einem herannahenden Kometen warnen. Der Full-Service Anbieter für Medienbeobachtung und Medienanalyse META hat deswegen mal genau „hingelooked“: Wie hat sich der knapp 3000 Seiten umfassende Klima-Wälzer in der österreichischen Social-Media-Welt niedergeschlagen?

Twitter ist die Plattform mit höchster Präsenz

Ein Blick auf die Verteilung der genutzten Plattformen zeigt, dass Twitter bei den Diskussionen über den IPPC-Bericht tonangebend ist. Über 90 Prozent der knapp 2000 erfassten Beiträge gehen darauf zurück. Tweets der STANDARD-Journalistin Verena Mischitz gehen im deutschsprachigen Raum viral. Stimmen aus der Wissenschaft, wie etwa Reinhard Steuer, Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien, erlangen hohe Aufmerksamkeit.

 

 

Fünf Prozent der erfassten Beiträge werden über Facebook verbreitet. Überraschend: Der Klimabericht findet auf Plattformen, die vor allem von Jugendlichen genutzt werden, kaum Niederschlag. Ausnahmen bilden Medien und Plattformen wie Der Standard, futurezone oder das Moment Magazin, die auch über TikTok und YouTube den Klimabericht aufbereiten.

Aufmerksamkeit in Wellen

Am 04. April präsentiert das IPPC den Bericht der Öffentlichkeit. Die Aufmerksamkeit in den sozialen Medien steigt sprunghaft an. Am Tag nach der Veröffentlichung wird der Bericht in 583 Beiträgen österreichischer User und Userinnen erwähnt. Fast ebenso rasch ebbt die Aufmerksamkeit jedoch wieder ab. Ein zweiter Peak um den 11. April thematisiert weniger die Inhalte des Klimaberichts, als die zurückhaltende Reaktion von Politik, Gesellschaft und Medien.

Kaum Reaktionen aus Politik

Eine Detailanalyse der erfassten Sprechergruppen zeigt, dass Politiker und Politikerinnen verhältnismäßig wenig zu dem Bericht über die sozialen Medien kommunizierten. Nur sieben Prozent der erfassten Beiträge gehen auf Parteien, Politiker und Politikerinnen und Ministerien zurück. Wenngleich die Themen Klima- und Umweltschutz in Politik und Medien nicht mehr wegzudenken sind, findet der aktuelle Bericht des Weltklimarates kaum Niederschlag: So äußeren sich weder die Vorsitzenden von ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen und NEOS über die sozialen Medien zu dem Bericht, noch die Umweltsprecher und Umweltsprecherinnen der Parteien. Auch die Mitglieder der Bundesregierung setzen keine Beiträge ab. Dieses Schweigen überrascht insbesondere bei den thematisch zuständigen Ministerinnen Leonore Gewessler und Elisabeth Köstinger, deren Pinnwände ansonsten gut mit Umwelt- und Klimathemen gefüllt sind.

Die größte Sprechergruppe stellen, mit mehr als einem Drittel der erfassten Beiträge, Privatpersonen. 20 Prozent stammen aus der Feder von Medien, Journalisten und Journalistinnen. Accounts von NGOs, der Zivilgesellschaft und aus der Klimabewegung zeichnen sich ebenfalls für ein Fünftel der Beiträge verantwortlich. Die wissenschaftliche Community stellt mit 13 Prozent ebenfalls eine deutlich wahrnehmbare Sprechergruppe dar.

 

 

Unternehmen zurückhaltend

Ein Blick auf Beiträge von Interessensverbänden birgt wenige Überraschungen. So äußeren sich unter anderem der Österreichischer Biomasse-Verband, der Verband Wärmepumpe Austria oder der Verein Kleinwasserkraft Österreich zum IPPC-Bericht und betonen die Bedeutung erneuerbarer Energieträger. Die österreichischen Unternehmen zeigen sich in der Kommentierung des Berichts weitgehend zurückhaltend. Mit der oekostrom AG, dem Öko-App-Anbieter inoqo, der Anlage-Vergleichsplattform CLEANVEST oder dem Wiener Reparatur- und Servicezentrum RUSZ äußern sich Unternehmen, für die ein nachhaltigerer Lebensstil zum Kerngeschäft zählt. Erstaunlich direkt formuliert der Twitter-Account des milliardenschweren Netzbetreibers Austrian Power Grid: »Die Botschaft – es ist jetzt Zeit zu handeln – unterstützen wir voll.«

Klimajournalismus im Aufwind

Trotz anhaltender Präsenz des Klimathemas dringen die Inhalte des aktuellen Klimaberichtes kaum in die sozialen Medien durch. Politische Akteure konzentrieren sich auf die Vermarktung eigener umweltpolitischer Erfolge. Dass die Themenhoheit nicht dem IPPC überlassen wird, mag dabei wenig überraschen. Schließlich stellt er der bisherigen Politik ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus und fordert tiefgreifende Umwälzungen ein. Auffällig ist, dass auch Akteure der Klimabewegung in ihren Social-Media-Auftritten nur selten in die Tiefen des Berichtes eintauchen und oft bei Überschriften und Apellen verbleiben. Es stellt sich also die Frage in wieweit sich wissenschaftliche Kolosse wie die IPPC-Klimaberichte für die Zubereitung schnell verdaulicher Social-Media-Happen eignen? Der Brückenschlag zwischen wissenschaftlichen Arbeitsweisen und den Funktionsmechanismen sozialer Medien bleibt eine Herausforderung.

Eine zunehmend integrative Funktion diesbezüglich nehmen Journalisten und Journalistinnen ein. Dies äußert sich in der vorliegenden Analyse durch einen hohen Anteil an erfassten Beiträgen (20%) und durch die Nutzung von neueren Plattformen wie TikTok, die für die Wissenschaftskommunikation bisher ein schwieriges Gelände darstellen. Von dem dahinterstehenden Wandel journalistischer Selbstverständnisse zeugt auch die Ende April veröffentlichte »Klimacharta« des Netzwerkes Klimajournalismus Österreich, die bisher von mehr als 100 österreichischen Journalisten und Journalistinnen unterzeichnet wurde. Darunter Redakteure und Redakteurinnen des ORF, des Kuriers, der Presse und vieler anderer namhafter österreichischen Medien.

Ausblick

Wie über zukünftige Klimaberichte gesprochen wird, wer darüber spricht und wie sich die Diskussionen in den sozialen Medien niederschlagen, unterliegt weiterhin hoher Dynamik. Der nächste Bericht des Weltklimarates, eine Synthese aller drei Berichte des sechsten Berichtszyklus, soll im September 2022 erscheinen. META schaut gerne wieder genau hin. 

 

Autor: Klemens Herzog, Projektmanager Medienanalysen

Untersuchungsgegenstand: Erwähnung des „Beitrags der Arbeitsgruppe III zum Sechsten Sachstandsbericht des IPCC“ (umgs. u.a. Weltklimabericht, Klimabericht, IPPC-Report) von österreichischen User und Userinnen in sozialen Medien.

Untersuchungszeitraum: 01.04. – 25.04.2022